Jussi Tapola sagt, er habe nach dem 1:6 in Zug die Tagesroutine nicht geändert. Der SCB-Trainer hat also offensichtlich nicht getobt. Grosse «Bandengeneräle» neigen zu dieser Gelassenheit. Sie vertrauen ihrer Mannschaft und trauen den Leitwölfen in der Kabine zu, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Und wenn es je eines Beweises bedurft hat, dass Hockey zu Recht als letzter wahrer Teamsport gilt, dann ist er wieder einmal erbracht worden: Beim SCB fehlen mit Patrick Nemeth der mit Abstand beste und wichtigste Verteidiger (gesperrt, sitzt am Montag seine zweite Spielsperre ab) und mit Marco Lehmann der schnellste Stürmer (krank, sollte am Montag wieder dabei sein). Trotzdem gelingt die stärkste Reaktion von einem Spiel auf das andere in dieser Saison.
Namen mögen nur aufs Dress genähte Buchstaben sein. Trotzdem spielt ein Name eine zentrale Rolle. Jussi Tapola hat die wichtigste Umstellung vorgenommen, seit er beim SCB im vergangenen August das Kabinen- und Bandenkommando übernommen hat: Er setzt Adam Reideborn auf die Ersatzbank und stellt Philip Wüthrich ins Tor.
Bisher hatte der SCB-Trainer durch alle Böden hindurch auf Adam Reideborn gesetzt. Nun ist er sozusagen vom Saulus zum Paulus geworden. Das hat es so in der SCB-Geschichte (seit 1931) nicht gegeben: Ein ausländischer Torhüter muss wegen miserabler Leistung auf die Ersatzbank und einem ehemaligen SCB-Junior weichen.
Nach dem Spiel entwickelt sich deshalb folgender Dialog zwischen Jussi Tapola und einem Chronisten:
Es gibt neben dem Resultat eine weitere erfreuliche Meldung für den SCB-Trainer.
Jussi Tapola: So?
Ja, der SCB-Trainer weiss jetzt endlich, wer seine wahre Nummer 1 im Tor ist.
Ich verstehe die Frage nicht.
Also gut: Jussi Tapola weiss nun, wer seine wahre Nummer 1 ist.
Aha, ja, das ist so: Der Goalie, der das Spiel beginnt, ist unsere Nummer 1.
Philip Wüthrich also.
Nein, nein, das sagen Sie. Wir haben keine Nummer 1. Die Nummer 1 ist am Spieltag einfach der Goalie, der das Spiel beginnt.
Ein grosser Trainer tappt eben nicht in jede Falle. Kein Trainer, der bei Sinnen ist, sagt je ein kritisches Wort über seine letzten Männer, auf die er angewiesen ist.
Aber wir dürfen sagen: Grosse Goalies werden nicht in einem Spiel ohne Gegentreffer gegen Kloten oder Ajoie geboren. Sondern im «Stahlbad» eines siegreichen Playoff-Dramas im ausverkauften Stadion (der SCB-Tempel war erstmals in dieser Saison ausverkauft). Formulieren wir es ausnahmsweise ein wenig pathetisch (= feierlich, übertrieben und emotional): Am Ende dieser Entwicklung von Philip Wüthrich müsste der SCB eigentlich den nächsten Renato Tosio haben.
Renato Tosio ist der charismatischste Torhüter der SCB-Geschichte (seit 1931) und hat zwischen 1987 und 2001 über 700 Spiele hintereinander als Nummer 1 bestritten.
Es gibt aus diesem 3:2 noch eine Erkenntnis: Der Hockey-Gott war an diesem Tag ein Berner. Jussi Tapola will wissen, warum.
Wenn auf der Skorerliste zweimal der Name Simon Kindschi steht, dann war der Hockey-Gott ein Berner.
Damit ist er nicht einverstanden und sagt: Nein, die Skorerliste hat nichts mit göttlichem Beistand zu tun. Sondern mit Talent.
Dazu eine Anmerkung: Simon Kindschi durfte sich beim Auftaktsieg in Zug (4:3) einen Assistpunkt notieren lassen. Beim 1:4 im zweiten und beim 1:6 im dritten Spiel ging er leer aus. Nun hat er zum 2:0 und zum 3:1 assistiert. Also gilt: Taucht der Name des kräftigen Riesen in der Skorerliste auf, verliert Zug.
Simon Kindschi ist der Verteidiger, der von Kloten diese Saison als untauglich ausgemustert und nach Bern abgeschoben wurde. Er hat jetzt nach vier Playoff-Partien gegen Zug ein Tor und zwei Assists auf dem Konto. Zuvor hatte der sanfte Riese (192 cm/104 kg) für Kloten und den SCB in 85 Qualifikationspartien kein Tor und drei Assists gebucht. Jussi Tapola wollte ihn unbedingt haben. Darum verteidigt der ehemalige HCD-Junior jetzt für den SCB.
Die Geschichte hat sich wiederholt. Auf den Tag genau. Vor elf Jahren reagiert der SCB am 23. März 2013 in den Playoffs zwei Tage nach einem blamablen 2:8 in Zug mit einem 3:2-Heimsieg. Nun folgt auf das blamable 1:6 in Zug am 23. März 2024 ein 3:2 in Bern. Einziger Unterschied: damals nach Verlängerung – jetzt schon nach 60 Minuten. Damals im Halbfinal. Jetzt im Viertelfinal.
Wiederholt sich die Geschichte auch beim Endresultat? 2013 gewinnt der SCB den Halbfinal gegen die Zuger 4:3 und holt sodann im Final gegen Gottéron den Titel. Aber 2024 ist nicht 2013. Ein wenig beunruhigend für die Berner: Zugs Trainer Dan Tangnes ist nicht mehr beunruhigt.
Nach dem 3:4 auf eigenem Eis beim Viertelfinalauftakt ist das noch anders. Der Norweger ist zwar auch in der Niederlage souverän. Aber seine Körpersprache verrät eine tiefe Beunruhigung. Verständlich: Die Zuger haben nun zehn der letzten elf Spiele verloren. Die Unsicherheit aus der Qualifikation hat sich auch zum Playoff-Auftakt gezeigt. Sogar bei Leonardo Genoni.
Nun ist Dan Tangnes nach dem 2:3 in Bern gelassen, ja entspannt. Er anerkennt ohne Wenn und Aber das Resultat. Der SCB sei besser gewesen. Nach einem der besten Spiele der Saison (gemeint ist das 6:1 vom Donnerstag) habe sein Team nun eine der schwächsten Leistungen gezeigt. Er sagt, solche Schwankungen, dieses Hin und Her des Momentums seien eben ein Merkmal der Playoffs. Deshalb sei es so wichtig, wegzustecken, was war und vorwärts zu schauen. Wer vor zwei Jahren im Final ein 0:3 gegen die ZSC Lions noch gedreht hat und Meister geworden ist, muss bei einem 2:2-Zwischenstand im Viertelfinal gegen den SCB nicht beunruhigt sein.
Zug hat auf die 3:4-Niederlage auf eigenem Eis mit einem 4:1 in Bern und einem 6:1 in Zug heftig reagiert. Da vermag Dan Tangnes nun ein 2:3 in Bern nicht mehr zu erschüttern. Er weiss: Seine Mannschaft lebt. Sie ist im nächsten Spiel am Montag zu einer sofortigen Reaktion und Leistungssteigerung fähig.
Eine Leistungssteigerung ist notwendig. Weil der SCB nach wie vor Steigerungspotenzial hat. Dominik Kahun, bester SCB-Skorer der Qualifikation (47 Spiele/50 Punkte) trägt nach vier Playoff-Partien eine statistische Brille: 0 Tore/0 Assists. Obwohl ihm Jussi Tapola in diesem Viertelfinal bisher sage und schreibe 69 Minuten und 41 Sekunden Eiszeit zugeteilt hat. Davon nicht weniger als 10 Minuten und 48 Sekunden im Powerplay.
Wo käme der SCB hin, wenn der freundliche, zerbrechliche Schillerfalter in den Playoffs wenigstens so produktiv wäre wie Simon Kindschi?
In den Halbfinal.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Zu Gotthelfs Zeiten sind Journalisten mit Heugabeln aus dem Dorf gehetzt worden, wenn sie so einen Mumpitz auf Papyrus niedergeschrieben hatten.